Hey, der Blog ist nicht in Vergessenheit geraten, nur wollte ich die wenigen Erlebnisse lieber sammeln und über alle in einem Text berichten.
Vor zwei Wochen habe ich mein tägliches Finnisch-Studium abgebrochen und arbeite seither jeden Tag dort, wo ich gebraucht werde. An manchen Tagen ist gar nichts los und die verbringe ich dann in der Großküche.
Hauptsächlich helfe ich den Lehrern als Assistentin und helfe anderen Schülern beim Lernen. Zweimal war ich bisher sogar im finnischen Geschichtskurs und habe zu den Themen Adolf Hitler, Konzentrationslager und Rassenkunde unterrichtet und aufgeklärt.
Hierbei fiel mir auf, dass Menschen von anderen Kontinenten oftmals überhaupt nicht wissen, dass es diese Zeit des Grauens in Europa gab. Und einige reagierten sehr sensibel, besonders als sie über die Rasseneinteilung erfuhren.
Das Interesse an dem Geschehen war ergreifend, wir verlängerten den Unterricht von drei auf vier Stunden und ich versuchte so viele Fragen wie möglich zu beantworten. Das war ein richtiges Erfolgserlebnis für mich.
Beim nächsten Mal sahen wir uns einen Youtube-Film über den Krieg zwischen Finnland und Russland, der 105 Tage lang anhielt und 1939 im Winter mit Temperaturen bis zu -50 Grad statt fand.
Trotz des heldenhaften Kampfes um den Erhalt der Unabhängigkeit von Finnland, fielen 2/3 von ihren Soldaten. Im Vergleich: Russland schickte um die 2 Millionen Soldaten von denen die Hälfte starb, die Finnen hatten nur 300.000 zur Verfügung.
An manchen Stellen musste ich lachen. Zum Beispiel war es witzig zu sehen, wie die Finnen in ihren weißen Tarnoutfits in Reih und Glied Ski fuhren, sich dann auf ahnungslose Russen stürzten und diese hinterhältig mit den altbekannten Finnenmessern umbrachten.
Dann gab es ein Interview und eine freundliche alte Finnin stellte eines dieser Messern vor. Eine Frau, adrett zurecht gemacht, verträumt lächelnd und dazu meinte sie mit zuckersüßer Stimme: „die Soldaten hatten nicht viele Waffen, aber dieses Messer hier kann ganz schön weh tun, wenn man es jemanden zwischen die Rippen sticht.“
Das war unbeschreiblich makaber.
Später wurde erklärt, dass die Finnen einen Vorteil hatten, da sie Wurstsuppe zu essen bekamen (stärkte nicht nur den Körper sondern auch die Seele), während die Russen sich mit einer Pampe zufrieden geben mussten.
Im Allgemeinen fand ich den Film sehr unterhaltsam, wunderbar dramatisiert von amerikanischen Produzenten.
Am Wochenende erlebte ich den Geburtstag eines Afghanen. Dazu sollte man wissen, dass in muslimischen Ländern dieser Tag eher weniger gefeiert wird.
Der Tisch war reichlich gedeckt mit Süßkram. Dann wurde eine Lebenskerze aufgestellt. Die Afghanen tanzten mit paar anderen Studenten aus dem Kongo im afghanisch/afrikanischen Stil. Es wurde gelacht, gewitzelt und ganz plötzlich – eine halbe Stunde später – endete alles und jeder verschwand wieder in seinem Zimmer.
„O.K.“, dachte ich mir nur.
Einen Abend verbrachte ich mit den Lehrerinnen und der anderen Freiwilligen (Popo) und wurden von ihr chinesisch bekocht. Dabei gab es unzähliges, was ich vorher und später nie wieder essen werde. Warum eigentlich nicht?
Naja, Tofu und ich werden wohl nie Freunde. Ich probiere trotzdem jedes Mal.
Am nächsten Tag fuhren Popo und ich mit Angestellten des Opistos und zwei Lehrerinnen zu einem Konzertgig. Vorher tranken wir uns die kalte verschneite Welt mit Bier schön, stopften uns mit Schokolade, Chips und Gemüse voll und stapften um 22 Uhr zu der Bar.
Hier bemerkte ich eine sehr große Veränderung meinerseits zu meinem früheren Ich in Deutschland.
Erstmals war ich nämlich davon ausgegangen, dass das Konzert um 20 Uhr beginnt und um 22 Uhr vorbei sei, damit ich da schlafen gehen konnte. So wie hier alles in Finnland darauf ausgelegt ist, n dass man früh schlafen kann.
Nach einer halben Stunde waren wir die nächsten in der Schlange und durften hinein gehen. Wir gaben die Jacken ab und warteten oben zwei Stunden, bis Chisu (eine sehr bekannte finnische Sängerin) endlich auftrat. Ich stand mit meiner Gruppe in der vierten Reihe vor der Bühne. Um mich herum EXTREM viele Menschen. So viele hatte ich seit einem halben Jahr nicht mehr auf einer Stelle gesehen.
Leider begann dann eine qualvolle Zeit für mich. In dem eh schon überfüllten und sauerstofffehlendem Raum wurde die Nebelmaschine angestellt. Mir wurde schwindelig und ich durfte mich zum Glück auf den Platz einer Frau setzen – am Fenster. Als ein betrunkenes und nerviges Mädchen sich meinen alten Stehplatz schnappen wollte, setzte diese Frau (auf deren Platz ich saß) ihre Krallen ein und verteidigte erbarmungslos mein Gebiet. Wohl damit ich später wieder dort stehen konnte.
Der Bass wurde schlimmer, die Menschen kamen immer näher. Die Luft war weg, mir standen Schweißperlen auf der Stirn. Am liebsten wäre ich nach draußen gegangen, doch lag der Ausgang hinter der riesigen Menschenmenge. Die Musik konnte ich kaum noch genießen. Als Popo sich plötzlich Richtung Ausgang, hängte ich mich an ihre Fersen.
Ihr ging es genauso wie mir.
Klaustrophobie?
Nein, bestimmt nicht. Wir stellten nur für uns beide fest, dass es uns damals in den Herkunftsländern nie gestört hat, von so vielen umringt zu werden. Wie auf Konzerten oder in Diskotheken.
Erklären konnten wir uns den Wandel nicht.
Wenn ich zurück kehre nach Deutschland, muss ich mich wahrscheinlich ganz langsam wieder an die Massen gewöhnen.
Da wir nichts zu tun hatten, beobachteten wir eine Weile betrunkene Männer tanzen. Manche der Finnen standen mitten im Raum herum, bewegten sich nicht. Nur um das Bier an den Mund zu führen.
Andere Männer tanzten als wollten sie Stangentänzerinnen Konkurrenz machen wollen.
Popo hatte die Nummer ihrer Jacke verloren und wir suchten mit dem hilfsbereiten Garderobenarbeiter nach dem Bekleidungsstück. Konnten sie in den Mengen aber nicht finden.
Kurz darauf tauchte Jaana, eine der Lehrerinnen auf. Ihr war es auch zu viel geworden.
Endlich war das Konzert vorbei, begeisterte Menschen bahnten sich den Weg ins Freie und ich fand die Jackenkarte oben auf der Tanzfläche liegend. Somit hatten wir auch endlich die Jacke
.
Gegen drei Uhr saßen wir im Auto und fuhren zurück zum Opisto. Wir überquerten gerade die lange Brücke, als ich aus dem Fenster sah und die Nordlichter entdeckte. Geschwind fuhren wir nochmal auf die andere Seite der Überquerung des Sees und betrachteten das Lichtspiel.
Überraschend war es für uns, weil es nur -6 Grad kalt war und normalerweise die Nordlichter bei -30 Grad auf tauchen.
Ich habe mich richtig gefreut, das Kunstwerk sehen zu können. Das war es auf jeden Fall wert.