Freitag, 17. August 2012

Abschlussbericht

Nun zum Abschluss des Jahres, sollte ich einen Abschlussbericht mit Beantwortung der Leitfragen verfassen, den ich euch auch zur Verfügung stellen möchte.

 
Das Jahr ist nun vorbei und ich blicke noch einmal zurück auf den Freiwilligendienst.
Als ich nach Finnland ging, hatte ich wenige Erwartungen und das machte es mir leichter, mich an die neue Kultur zu gewöhnen. Finnland, dieses Land liegt gar nicht so weit entfernt von Deutschland und doch überkam mich oft das Gefühl, Deutschland und Taiwan verbinden mehr Gemeinsamkeiten als mit Finnland. Das fiel mir in den Gesprächen mit der anderen Freiwilligen aus Taiwan auf. 
 
Zusammen erlebten wir vieles und verglichen dies häufig mit unseren Kulturen. Es gab viele Punkte, die mir bewusst machten, in einer anderen Kultur zu leben. Auf dem Abschlusscamp der Partnerorganisation erkannte ich, dass ich tatsächlich am Kulturschock litt, eine Tatsache, die ich nie erwartet hätte. Wäre ich nach Indien oder Kenia geflogen, hätte ich das zugeben können, aber in Finnland? 

Vielleicht lag es auch nicht an dem Land oder dieser Kultur selbst, sondern an den anderen Kulturen, mit denen ich mich im Projekt beschäftigte.
Das wäre eine perfekte Ausrede gewesen, die leider nicht anwendbar ist. Denn mir wurde klar, dass auch Finnland erhebliche Unterschiede zu Deutschland aufweist.
Am meisten machten mir die Verhaltensweisen in der Gesellschaft zu schaffen. „Ein Finne spricht nicht mit Fremden, geht dafür jedoch nackt mit ihnen in die Sauna.“

Ich fand in den letzten Monaten doch noch ein paar finnische Freunde. Zusammen kochten wir und gingen saunieren. Die Gespräche blieben stets an der Oberfläche, wurden diese etwas intimer, herrschte betretenes Schweigen und jeder guckte zu Boden. 
 
Als Antwort darauf, schränkte ich meine Gesprächsthemen ein und passte mich an. Einmal geschah es, dass eine Freundin zu weinen begann. Statt sie in den Arm zu nehmen und zu trösten, reagierten die Finnen anders als ich es aus meiner Gesellschaft kannte. Sie begannen sich zu distanzieren, im wahrsten Sinne des Wortes setzten sie sich weg. Nur eine blieb und riss unpassende Witze.
Das verwunderte mich sehr, dachte ich doch zuvor, überall in Europa trösten die Menschen auf ähnliche Weise.
Der Alkohol spielt eine wichtige Rolle für die Finnen und bewirkt einiges Positives. Besonders die Männer treten wortkarg und schüchtern auf, sobald sie angetrunken werden, beginnen sie von sich zu erzählen. Mitte Juli war ich auf einem Rockfestival und begegnete vielen betrunkenen Menschen. Entgegen all meiner Erfahrungen aus Deutschland, wurde ich nicht ein einziges Mal angepöbelt, noch sah ich eine Schlägerei. Im Gegenteil, die Menschen kamen auf mich zu um zu plaudern, sie unterhielten sich freundlich mit Fremden. Es war harmonisch.
Mittlerweile ist mir das Land ans Herz gewachsen und ich habe eine Menge gelernt. Ich gehe alles viel gelassener und ruhiger an, verspüre keinen Zeitdruck mehr. Ich kann in Ruhe zu einem Termin gehen, schlendern und den Weg genießen und komme trotzdem pünktlich an. Außerdem plane ich meinen Alltag nicht mehr, sondern gucke was passiert und worauf ich Lust habe. Erstaunlicherweise lässt sich das mit meinen Pflichten wunderbar kombinieren. Die finnische Ruhe hat meine deutsche Ruhelosigkeit gänzlich ausradiert. Während ich auf dem Steg am See saß und meine Seele baumeln ließ, konnte ich den Moment genießen und verspürte nicht mehr das Bedürfnis über Anstehendes nachzudenken und die Pause zu unterbrechen. Ich spürte den Wind, wie er mich sanft streifte, roch den Duft des Wassers und der Pflanzen, sah wie sich die Fische bewegten und hörte das Zwitschern der Vögel.

Das Auslandsjahr hat mir so vieles gegeben und beigebracht, ich habe mich selbst ein großes Stück näher kennengelernt. Meine innere Stimme ist lauter geworden, den Mut „nein“ zu sagen, trage ich endlich in mir. Bevor ich aufgebe, probiere ich erst mal ob es klappt oder mir zusagt. Ich höre mehr auf mein Bauchgefühl, meine Intuition und stehe zu meinen Entscheidungen.

Ich habe in der kurzen Zeit eine Menge erlebt und dennoch die Frustration und Enttäuschung nicht gewinnen lassen. Fünf Abschiebungen und zwei Selbstmordversuche neuer Freunde, liegen hinter mir und haben mich erkennen lassen, dass ich nur einmal lebe und das Leben zu kurz ist, um alles aufzuschieben und vorläufig unversucht zu lassen.

Das Opisto und alles was dazu gehört, haben mir viele Dinge beigebracht. Ich sehe nicht mehr die Hautfarbe, sondern die Person als Ganzes. Das ist mir sehr wichtig gewesen, denn ich möchte niemanden auf eine oberflächliche Sache reduzieren und verurteilen. Des Weiteren regen mich seit kurzen Verallgemeinerungen auf, obwohl ich selbst in diesem Text welche genannt habe.

Mir wurde die Möglichkeit gegeben, die verschiedenen Bereiche des Projekts auszuprobieren und mir selbst Aufgaben zu suchen. So arbeitete ich viele Stunden in der Küche als Tellerwäscherin und machte diese Arbeit mit Begeisterung, denn ich konnte bei der monotonen Arbeit abschalten und entspannen.
Ich lernte 25 Stunden pro Woche Finnisch und erreichte das A2 Sprachlevel, welches mir die Arbeit in der Rezeption des Hostelbereiches ermöglichte. Dazu gehörten neben dem Kioskverkaufes auch das Telefonieren mit Kunden und Buchungen ausführen, das Erfüllen von Wünschen und die Auseinandersetzungen mit unzufriedenen Gästen.

Hierbei zeigte sich mein Talent fürs Organisieren und Planen.
Während ich den Reinigungsfachkräften half, entwickelte ich Respekt für diese Arbeit und einen besonders großen Schritt machte ich, als ich zur Lehrerassistentin wurde. Einmal hielt ich eine Englisch- und ein anderes Mal eine Finnischstunde ab, die ich zuvor selbst plante und ohne einen offiziellen Lehrer durchführte. Ansonsten unterstützte ich die Lehrer in ihren Unterrichtsfächern, die auf Finnisch abgehalten wurden.
Meine Angst, vor anderen Menschen Klavier zu spielen, überwand ich als man mich bat, Klavierunterricht zu geben. Hierbei blühte ich auf, was mich sehr überraschte. Es brachte mir unheimlich viel Spaß andere zu unterrichten, über meine Geduld und Anpassungsfähigkeit war ich besonders verblüfft.
Während dieser Arbeit, übernahm ich die Leitung der Schulband und brachte fünf sehr unterschiedliche und zeitweise unmotivierte Schüler zusammen, wobei ich ein großes Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen zeigen musste.

Ich muss mir eingestehen, dass ich nicht in der Lage bin, Menschen zu verändern oder den Ort zu beeinflussen, dennoch habe ich mich eingebracht und mein Bestes gegeben. Ich hinterlasse lediglich Spuren, die hoffentlich nicht in Vergessenheit geraten. Allerdings kann ich mich mit dem Gedanken anfreunden, den ein oder anderen Menschen geholfen zu haben, so wie sie es für mich taten.
Mich haben einige Personen berührt, meinen Horizont erweitert und einen kleinen Wandel in mir bewirkt. Und das habe ich vermutlich auch in einigen von ihnen hervorgerufen.
Anfangs verglich ich vieles mit Deutschland und meiner Kultur. Milch zum Mittagessen? Ist das normal?
Warum gucken mir die Menschen nicht in die Augen, wenn ich an ihnen vorbei gehe? An Sylvester standen die Gruppen in Meterabständen zueinander, niemand kreischte, niemand lachte laut auf. Für mich persönlich war absolut keine Stimmung vorhanden. Hatte ich die Atmosphäre missverstanden, nur weil sich nicht Fremde in den Armen lagen und zusammen das neue Jahr feierten? Konnte diese bedächtige Stille nicht auch einen gewissen Charme widerspiegeln? Ich brauchte lange, bis ich schweigen und die Ruhe genießen lernte. 
Mittlerweile erachte ich es nicht mehr als schrecklich unhöflich, wenn auf mein Wort keines des Gegenüber folgt. Ich suche nach keinen Gesprächsthemen, sobald eine Gesprächspause eintritt. Ich gehe auf Menschen zu, spreche sie gezielt an, wenn ich Kontakt aufnehmen möchte. So vieles ist anders in Finnland, im Vergleich zur deutschen Kultur. Viele gingen in Alltagskleidung in Bars, es machte nichts aus, unfrisiert zum Supermarkt zu gehen.
Das Projekt in dem ich war, ist ein ganz besonderes. Es ist abwechslungsreich und fördert die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Ich probierte die unterschiedlichen Bereiche aus und blieb bei denen, die mir Spaß brachten. Meine taiwanische Kollegin hatte sich kurz vor der Anreise eine gute Spiegelreflex-Kamera gekauft und lernte über das Jahr, damit umzugehen. Sie fotografierte auf Festen, zu anderen Gelegenheiten, bearbeitete die Fotos und machte daraus Projekte. 

Ich lernte Finnisch und wandte die Sprachkenntnisse im Umgang mit den Touristen, Studenten und Angestellten an, meine Musikkenntnisse vermischte ich mit meinen Führungserfahrungen und setzte sie in der Schulband und im Klavierunterricht um. Hin und wieder wurde meine Kreativität gefragt, die ich einsetzen durfte.
Ich bin mir sicher, dass die Eigenschaft, sich an kleinsten Dingen und Aufgaben zu erfreuen, sehr wichtig für das Freiwilligenjahr ist. Mit Begeisterung schnitt ich tausende Äpfel, fegte die Sporthalle und half als Lehrerassistentin. Wer mit zu großen Erwartungen kommt, wird enttäuscht sein. Ich kam mit sehr wenigen Erwartungen her und wurde häufig überrascht, wie viel Vertrauen und tolle Aufgaben, auf mich zu kamen.

In meiner Zeit habe ich den Menschen, die am Boden waren, geholfen aufzustehen und nach vorne zu blicken. Ich hörte ihnen zu, spendete Trost und bot meine Freundschaft an. Das war für einige Studenten sehr wichtig. Den Angestellten begegnete ich stets mit einem Lächeln und Aufgeschlossenheit, ich half auch außerhalb meiner flexiblen Arbeitszeiten, wenn Hilfe gebraucht wurde.

Ich wohnte in einem Haus auf dem Projektgelände. Das Zimmer bestand aus zwei uralten Metallbetten und einem kleinen Schreibtisch. Bis zur Stadt waren es ungefähr sechs Kilometer, das ganze Jahr über hielt ich mich dort nur selten auf. Meine Freunde lernte ich im Opisto kennen.
Dieses Jahr hat meine Erwartungen übertroffen, ich hatte mir zwar erhofft, in der Stadt Freizeitaktivitäten auszuüben und Freunde zu finden, letztendlich habe ich eine Alternative auf dem Projektgelände gefunden, mit der ich zurecht kam. Die Betreuung der Sendeorganisation und der, die vor Ort tätig war, benötigte ich selten, doch ich fühlte mich unterstützt, sobald ich Unterstützung brauchte.

Was mich betrifft, hätte ich gleich am Anfang des Jahres (im September) Freunde in der Innenstadt suchen können. Das bereue ich ein wenig. Ansonsten war alles wunderbar.
Ich hoffe, ich kann all das Erlernte auf den deutschen Alltag und meine Zukunft anwenden, mit anderen Menschen meine Erfahrungen teilen und Denkanstöße geben.
In diesem Jahr bin ich weit über mich hinausgewachsen und habe eine Menge dazu gelernt.

Mittwoch, 1. August 2012

Abschied

Der August beginnt heute und hinter mir liegt ein ganzes Jahr.
Übermorgen reise ich ab und lasse Finnland vorübergehend hinter mir. Ich möchte mich herzlich bei euch allen bedanken. Mir hat das Schreiben sehr viel Spaß gebracht und zu meinem Erstaunen, wurde der Blog rund achttausendmal besucht. Eine ziemlich große Zahl, die ich nicht erwartet habe.

In mir steigt nun die Reiselust, das wird ein richtiger Spaß mit zwei großen Koffern von Savonlinna zum Flughafen zu reisen.
Doch zuvor wird es Zeit für einen kleinen Rückblick.

Letzten August kam ich im regnerischen Helsinki an, kannte bis auf zehn Begriffe, keines der finnischen Wörter. Nach zwei Tagen, die ich in finnischen Kneipen verbrachte, war ich zwei Wochen lang in der Nähe von Lappeenranta mit anderen ausländischen Freiwilligen. Wald, See, Einsamkeit, erster Kulturschock.
Danach begann mein Arbeitsalltag, ich traf viele Menschen aus zwanzig verschiedenen Nationen, lernte vieles über deren Kulturen, gewöhnte mich an die Eigenheiten und merkte, dass es nicht so einfach ist, finnische Freunde zu finden. Im November ließ mich die ständige Dunkelheit in ein tiefes Loch fallen. Den Winter verbrachte ich mit Sauna, Skifahren und in meinem Zimmer. Ich lernte eine Menge Finnisch, besuchte für eine Woche Deutschland und flog nach Spanien, um Sonne zu tanken. Mit dem Frühling kam meine Fröhlichkeit wieder, ich erkundigte die Waldregion um Savonlinna herum, besuchte andere Freiwillige, fand finnische Freunde und lernte eine Menge über mich selbst.
Zusammengefasst kann ich sagen: Dieses Auslandsjahr war die beste Entscheidung!
Lebt eure Träume, nehmt eure eigenen Wünsche und Bedürfnisse ernst. Wir leben nur einmal und wissen nie, wann sich das Leben dem Ende neigt.
Manchmal gehört dazu Mut, einen neuen Schritt zu wagen. Das darf euch nicht davon abhalten, es zu probieren.

An dieser Stelle verabschiede ich mich und werde hier vielleicht demnächst meinen offiziellen Abschlussbericht, den ich für den IJFD schreiben soll, hochladen.

Liebe Grüße
Rica