Mittwoch, 6. Juni 2012

das Ende der Welt

Es war einer dieser typischen langweiligen Tage, an denen sich alles, ja wirklich alles, in die Länge zog. Ich starrte gelangweilt die Decke an, hörte dabei Musik. Setzte mich an meinen Computer. Nichts half. Die Zeit verging einfach nicht. Mir fehlte es an einem Hobby. Irgendeiner Freizeitbeschäftigung, der ich am Wochenende nachgehen konnte. Hier im Ausland. Wie hatte ich das die vorherigen Monate bloß überlebt? Fernab von alten Freunden, umgeben von unzähligen Fremden, die alle nur einer anderen Sprache mächtig waren. Nichts konnte meine besten Freunde ersetzen. Zwar habe ich hier neue Bekanntschaften gemacht, ziemlich viele genauer genommen. Nur sind die meisten mittlerweile abgereist und auf das ganze Land verteilt.
Alles was ich mir aufgebaut hatte. Mein neues soziales Kommunikationsnetz. Da gab es zum Beispiel die Frauenrunde, mit der ich wundervolle Stunden in der Sauna verbrachte. Oder die Männer, welche mich zum Essen und Filme ansehen, einluden.

Verschiedene Gesellschaften, welche mir alle ein kleines Gefühl der Zugehörigkeit vermittelten.
Alles vorbei. Aus und vorbei.
Meine Gedanken schwirrten im Kreis. Sehnsucht und Einsamkeit machten sich breit. Ich vermisste meine neuen Freunde. Und meine alten. Je mehr Gedanken ich daran verschwendete, desto trauriger wurde ich.
Unterdrückung der Gefühle ist ein notwendiges Übel. Ich wollte mich nicht mit dem Verlust auseinander setzen, viel lieber nach Ablenkung suchen.

Also setzte ich mich auf und schlüpfte in herumliegende Socken und meine Laufschuhe. Wozu war ich im Land der Seen und Wälder, wenn ich das nie ausnutzte?
Ich lief los, erst die Straße entlang. An etlichen Häusern. Sie ähnelten sich alle sehr. Bungalows, in unterschiedlichen Farben angestrichen. Rot, gelb, blau und grau. Für die Gärten hatten sich die Bewohner noch weniger Mühe gegeben. Höchstens kümmerten sie sich um das Gras. Blumen und andere Pflanzen existierten nicht, oder wuchsen wild vor sich hin.

Die Straße ging ohne Kurve über mehrere Kilometer hinweg. Bergab. Nein, es war eher ein Hügel, den ich hinunter lief. Deswegen hatte ich auch ein gutes Tempo drauf. An der Weggabelung bog ich nach links und dann nach rechts ab. Die Straße verwandelte sich in eine Schotterpiste, mit einem kleinen parallelen Waldpfad, den ich wählte. Ich verlangsamte meine Geschwindigkeit und genoss den hundert Meter langen weichen Weg.

Dann mündete er wieder in die Schotterstraße, welche ich ein Stück verfolgte. Bis ich an einer Kreuzung rechts abbog. Ein Fehler. Am Ende stellte er sich als Sackgasse heraus. Ich kehrte um, lief den Waldweg zurück, bog wieder links ab und entdeckte dann einen Pfad, der höchstwahrscheinlich wirklich in den Wald führte.

Er war ungefähr zwei Fuß breit, führte Hügel hoch und hinunter. Schlängelte sich an kleinen Bächen vorbei, über die Menschen Holzplatten zur Überquerung gelegt hatten. Links und rechts standen unzählige grüne Bäume, die ersten Frühlingsblumen wuchsen. Gelbe Blüten zierten die Bäche. Eine Weggabelung tauchte auf, ich bog links ab. Es ging hinunter. Meine Füße balancierten über Baumwurzeln und Steine entlang. Ich wurde wieder schneller und geriet bei dem Auf und Ab außer Atem.

Bei den folgenden Kreuzungen, wählte ich oft den linken Pfad. Stets im Hinterkopf, dass mein Wohnort rechts von mir lag. Irgendwann entschied ich mich, mehr in meine Hausrichtung zu begeben, überquerte Flüsschen, Hügel, Wurzeln und fand mich auf einem Felsen wieder. Ich näherte mich vorsichtig dem Abgrund und machte lieber wieder einen Schritt zurück. Das ging ein wenig zu tief hinunter. Nun folgte ich einem anderen Waldpfad, der mich über offene Felder führte. Felder auf denen tote Bäume herum lagen, dessen Wurzeln aus dem Boden ragten. Der Pfad wurde schmaler, die Kurven vermehrten sich. Es ähnelte fast einem Slalomparcours.
Es brachte so viel Spaß durch die Natur zu laufen, das Glück sprudelte nur aus mir heraus. Ich kicherte vergnügt, folgte meinen Gedanken. Alten Fantasien, die ich als Kind immer hatte. Rannte und rannte. Über Stock und Stein, hangelte mich unter umgefallenen Bäumen entlang. Einmal fiel ich beinahe hin, doch ich konnte mich gerade noch so wieder in Balance bringen.

Mir ging es so gut. Weitab von sämtlichen Menschen. Eins mit der Natur. Vögel zwitscherten, knatterten mit ihren Schnäbeln, das so klang, als wären sie Paparazzi-Vögel. Mit alten Kameras flogen sie herum und fotografierten die kleine Welt unter ihnen. Die grünen Blätter rauschten, spielten mit dem Wind. Ich hockte mich auf einen der Felsen am Ende der Welt und genoss den Moment.

Gerüche von Blüten, Gräsern und Blättern umgaben mich, wohlig schloss ich meine Augen und ließ das alles auf mich wirken. Die Sonne kitzelte mein Gesicht, ein Gänseschauer kletterte meine Arme entlang.

Das Ende ist nicht das Ende des Ganzen, vielmehr ist es ein Halt, ein Ort zum Verweilen, Rasten, von dem es weiter geht.
Wenn die Zeit gekommen ist.

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