Sonntag, 30. Oktober 2011

Sweeney Todd

Wie eine Prinzessin kam ich mir vor, als ich den Friseursalon betrat. Einzelne weiße Sessel standen vor großen Spiegeln, weiße Vorhänge hingen an den Fenstern, es wirkte alles wie ein königliches Zimmer. Einzelne Blumen und die verspielte Dekoration rundeten das Bild ab. Dazu die himmlisch finnische Weihnachtsmusik, ab und an war ein deutsches „Oh Tannenbaum“ zu hören. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, wie sehr ich Weihnachtsmusik liebe. Normalerweise löst diese Musik in mir ein Fluchtreflex aus, dem ich dieses eine Mal leider nicht nachgeben konnte.
„Setzen Sie sich doch!“, forderte mich die Friseurin, welche ihre knallorangefarbenen Haare zu einem Halbirokesen frisiert hatte, auf. Ihr romantischer Kleidungsstil, eine hübsche weiße lange Strickjacke und eine hellbraune Hose, passten perfekt zu dem Interieur.
Ich ließ mich in den Sessel sinken, beobachtete durch das Fenster hindurch das träge Geschehen der wenigen Finnen, welche gelangweilt vorbei gingen.
Die Atmosphäre war bedächtig und entspannend, außer mir waren noch zwei weitere Kundinnen in dem Raum, jede in Gedanken versunken.
Ein wenig aufgeregt war ich, da dies mein erster Friseurbesuch seit drei oder vier Monaten war.
Meine Haarkünstlerin begann mit dem Färben der Haare und ging das ganz anders an, als ich es aus Deutschland gewohnt war. Statt die Folien von hinten und unten anzusetzen, begann sie ganz vorne. Zum Schluss sah ich wie ein intergalaktisches Kunstwerk aus der Zukunft aus. Während die CD mit der Weihnachtsmusik das zweite Mal ihr bestes gab, las ich in meinem Buch und vertrieb mir auf diese Weise die Zeit.
Endlich, gerade bevor ich zum dritten Mal die finnische Version des „Stille Nacht“ Liedes ertragen durfte, wurde ich zum Waschbecken gebeten. Meine Füße wurden auf einen weißen Lederhocker abgelegt, meine Haare von den Folien befreit und mein Kopf mit unzähligen Massagen durchgeknetet. Auf Shampoo folgten Haarkuren und eine weitere Massage. Ich fühlte mich wie im Himmel.
Ein wenig zittrig begab ich mich anschließend zurück zu meinem Sessel und erklärte der Friseurin wie ich meine Haare gern geschnitten hätte. Ich zeigte ihr mit den Händen wie kurz der Pony werden und was sie mit den restlichen Haaren machen sollte.
Sie lächelte mich an und meinte „Ja, also nur einen Zentimeter kürzer.“
Ich blickte ihr in die Augen und ich war mir halbwegs sicher, sie hätte mich verstanden.
Dann begann sie zu schneiden und sie machte das wirklich mit einer sagenhaften Eleganz. Sie wirkte wie eine Haarspezialistin, die mit Scheren in der Hand auf die Welt gekommen war. Am Ende begann sie noch meine Haare zu föhnen und zu frisieren, ich saß da und war zwiegespalten. Mein Pony war unzählige Zentimeter kürzer als ich es gewollt hatte und meine restlichen Haare auch. Zu allem Überfluss sang im Hintergrund der Sänger erneut mit einem finnischen Dialekt „Oh Tannenbaum“ und ich fühlte mich ein wenig wie in einem Horrorfilm. Erst wurde ich so schön umgarnt und verwöhnt und dann, dann wurde mir mein Heiligstes genommen. Zusätzlich erschrak ich über den Preis, den ich zum Schluss zahlen musste. In Finnland ist tatsächlich alles teurer. Viel teurer. Doch tatsächlich bin ich, wie ich später erfuhr, sogar vergleichsweise günstig davon gekommen. In der Zukunft werde ich meine Haare selber färben, wobei die Friseurin das zumindest echt verdammt gut hingekriegt hat und außerdem hat sich meine Mähne noch nie so gut angefühlt. Nur an die neue Haarlänge muss ich mich wohl noch gewöhnen.
Zusammengefasst war dies wohl mein letzter Salonbesuch für die nächsten Monate und das nächste Mal werden auch wirklich nur die Spitzen geschnitten. Gelernt habe ich, dass Weihnachtslieder eine süße Vorwarnung auf das Böse sein können.
Passend zu Halloween kann ich jetzt wenigstens unverkleidet auf die Straße gehen, Süßigkeiten sammeln und andere erschrecken.

Folgendes Lied passt zu perfekt zu  meiner momentanen Stimmung...

Sonntag, 23. Oktober 2011

ein Stückchen Glückseligkeit

Ein kleines unsicheres Lächeln umspielt seine Mund, seine Lippen sind geschlossen, seine Augen blicken sanft und zugleich mit einer Note von Traurigkeit gefüllt in meine. Ich lächle zurück, fühle wie die Sanftheit mein Herz warm umhüllt und die Schwermut mir einen kleinen Stich versetzt. Ich spüre das Verlangen, nach seinen Händen zu greifen, sie festzuhalten und ihm zu sagen, es werde alles gut. Doch fehlen mir die Worte in der mir noch so fremden Sprache.
Ich mache einen Schritt auf ihn zu, atme tief durch, versuche mich zu entspannen, meine Angst vor einer Zurückweisung zu unterdrücken. Ich breite meine Arme aus, gehe noch einen Schritt näher an ihn heran und lege meine Arme um ihn herum. Er erwidert das, ich rieche sein Parfum und spüre seine Wärme. Zuerst ist sein Körper steif, dann lässt er sich ein wenig in die Umarmung sinken. 
Kurz darauf lasse ich ihn los, trete zurück und sehe ihm in die Augen. Er strahlt mich an, sucht nach einem Witz um vielleicht die Situation aufzuheitern, findet jedoch nicht die richtigen Worte und starrt verlegen auf den Boden. 
Ich knuffe ihn in die Seite und bedanke mich.

Jede Umarmung bringt etwas besonderes mit sich. Ich sehe eine Lehrerin, renne quietschend und kreischend auf sie zu. Wir springen uns gegenseitig in die Arme, drehen uns eins zwei Mal im Kreis, lachen und fallen beinahe hin. Danach fällt es mir schwer, nicht mehr zu lächeln.
Immer wieder überwinde ich mich, mache Schritte auf andere Menschen zu, öffne ihnen mein Herz, lasse sie einen Augenblick lang zusammen mit mir das Gefühl der Glückseligkeit und Sympathie erleben. 
Fremde oder befreundete und doch stets auf Distanz gehaltene Menschen jeglichen Alters und jeglicher Nation, lasse ich an mich heran und umarme sie.
Zum Schluss habe ich insgesamt über ein Drittel der Schulangehörigen umarmt. Angestellte und Studenten.
Eine Zurückweisung habe ich auch erlebt, doch hat diese mich nicht so sehr getroffen, wie ich zuerst befürchtet hatte.
Wer das Geschenk einer Umarmung nicht zu würdigen weiß, der hat ein Problem mit sich selbst. 

In einer Arte-Dokumentation hat einmal der Protagonist gesagt, jeder Mensch bräuchte mindestens zehn Umarmungen pro Tag. 
Mit meiner „Free Hug“ Aktion habe ich etwas in mir verändert, ich spüre eine neue Verbundenheit zu diesen Personen und auch zu mir selbst. Wie sehr würde es mich freuen, könnte sich jeder überwinden und andere Menschen an sich heran lassen. 
Anfangs dachte ich, dass der Unterschied von Kulturen mir einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Diese Angst hat sich nicht bestätigt. Allerdings traten andere Folgen ein, manche Studenten kommen seit dem öfter an, um mich zu drücken. Oder ich bekam ein Stück Torte geschenkt. Einen Kuss gab es auch. Am meisten hat es mich jedoch berührt, als ich spürte, wie eine Person in dem Moment der Umarmung, alles von sich fallen ließ und ein paar Tränen die Wangen herunter liefen. 

Ich frage mich nun, warum wir so zurückhaltend sind, obwohl gerade eine solch simple Handlung, zeitgleich zwei Menschen unheimlich glücklich machen und deren Seelen für kurze Zeit befreien kann.  

Dienstag, 18. Oktober 2011

Ein grünes Déjà-vu

Am Donnerstagabend bekam ich meinen allerersten Besuch. Freddy und Dad fuhren mit ihrem edlen hellblauen Mietwagen vor und sogleich durfte ich endlich wieder ans Steuer. Ich zeigte ihnen nebenbei noch die beste und großartigste Pizzeria der Stadt, welche beide „ganz akzeptabel“ fanden.
Abends stellte ich Fred einigen Studenten vor, der daraufhin herzlich mit Tee und einigen Witzen empfangen wurde. So ziemlich jeder von ihnen verglich seine Muskeln mit denen meines kleinen Bruders, zu meiner Belustigung hatte dieser jedoch nicht die größten. Wie sollte es auch anders sein, ist mein neuer großer Bruder der Stärkste von allen. Verblüffend war außerdem der Größenunterschied der beiden – mein großer Bruder reicht meinem Kleinen großzügig gesehen bis zum Bauchnabel.

Am nächsten Tag gab mein Vater einem Studenten eine Klavierstunde und mein Bruder spielte mir Unmengen an Filmen auf den Laptop. Ach ja, hiermit möchte ich mich für das vorgezogene Weihnachten bedanken.
Vielen Dank an die vielen Kleinigkeiten! Anita, Mum, Opi und Dad – ihr seid die Größten! Fred (ja, ich weiß, du hasst diesen Namen^^) selbstverständlich auch.

Nachmittags fuhren wir mit dem Auto nach Tampere (wuhu, ich durfte fahren!) und dort ließen wir es uns in einem Hotel gut gehen.
Der rote Kühlschrank und die eigene Sauna zogen uns magisch an.
Ich glaube, ich werde mir später in meiner eigenen Wohnung beides zulegen.

Samstags zogen wir in ein anderes Hotel mitten in der Innenstadt, gingen shoppen und abends in einem mexikanischen Restaurant essen. Natürlich entspannten wir uns auch in der Sauna und machten unserem Nachnamen alle Ehre. Darauf gehe ich jetzt nicht allzu sehr ein, diejenigen die uns gut kennen, wissen was gemeint ist. Es lebe das Chaos!
Außerdem bin ich nun um 18 Instantkakao-Tüten reicher (die sind uns aus Versehen in die Taschen gerutscht) und auch auf anderen Wegen hatten wir ziemlich viel Spaß. Wie immer, schaffte es Dad mal wieder im Fahrstuhl stecken zu bleiben – es gibt schon Gründe warum ich eine Fahrtstuhlphobie habe und es vorziehe, ohne meinen Vater mit dem Lift zu fahren....
Ich frage mich, wie der das immer wieder hinkriegt. Wahrscheinlich steht er da drin, drückt auf alle Tasten, springt mit seinem Federgewicht gleichzeitig durch die Gegend und macht Dinge, die Männer, allein im Fahrstuhl stehend, tun.

Mein liebster Leser, ich bin jetzt tatsächlich endlich in Finnland angekommen. Ich habe Zeit für alles, ich genieße den Augenblick, ich lebe bewusster und ich habe kaum Ansprüche mehr.
Das ist mir im Vergleich zweier dauerhaft gestresster Deutscher aufgefallen.

Auf dem Rückweg am Sonntag (juhu, ich durfte wieder fahren!) begegneten wir erneut unzähligen Elchen auf Schildern, tricksten Blitzer aus – Ricarda Schuhmacher hat nämlich im Gefühl, wann wieder einer auftauchen könnte und... ich fand ein grünes Sofa!

Mitten im Wald, umgeben von Moos, Birken, einigen Tannen und bewachsenen Steinen, stand es. Mutterseelenallein.
Als wollte es sagen: „Komm, setze dich. Gesell dich einen Moment zu mir. Genieße die Stille, die Schönheit des Herbstes und träume ein wenig. Spüre den Augenblick. Verweile!“

Sonntag, 16. Oktober 2011

Gästeeintrag von Michael

„Willkommen auf dem Flughafen in Helsinki ihr beiden.“, stand in der Nachricht von Ricarda, welche zeitgleich mit uns in Finnland per SMS eintraf.

Mit der Hoffnung, sie nach etlichen Kilometern in der unendlichen Wildnis zu finden, mieteten wir uns ein kleines hellblaues Auto und machten uns frohen Mutes auf den Weg.
Noch war die Reihenfolge unklar.
Am Ende einer nie aufhörenden Straße, welche durch unzählige Wälder und an Seen vorbei führte,
stand ein Haus und da genau wurden wir von Ricarda erwartet.

An dieser Stelle erlaubt mir bitte die Beschreibung von Finnland:
Keine Angst, allzu viel muss ich darüber nicht schreiben...

Dunkle Wälder, absolut geeignet für die vielen Elche und für Liebespaare, die kein zu Hause haben oder einfach nicht gestört werden wollen, unterlegt von Unmengen großer und kleiner mit Moos bewachsener Felsen und Steinen.

Nochmal zu dem Nationaltier, wir haben weit und breit keine Elche gesehen und auch keine einzige Kuh, aber dafür die Schilder dazu.

Zusätzlich zu den Elchschildern, welche die Autofahrer bremsen sollen, gab es tausende Fotokameras an der Straße, um einmalige Urlaubsbilder oder zu schnelle Elche zu fotografieren.

Wichtig zu erwähnen, ist hier aber noch der Hamburger Hes (Hesburger), der alle ca. 20 km den Leuten von Weit und Fern eine Möglichkeit des Treffens bietet.

Es ist der einzige Treffpunkt, der ein wenig für Abwechslung zwischen Wäldern, Steinen, Elchen, Schildern, Blitzern, Liebespaaren(?) und Kühen sorgt.....

Lustig war der Einkaufsbummel in der Großstadt Tampere, mit ca. 200.000- Einwohnern, einer der größten Städte hier.

Natürlich ging es vorher über Stock und Stein und den schon beschriebenen Hindernissen.

Nachdem wir im Hotel festgestellt haben, dass die Zimmer dort mit einer Sauna bestückt sind,
wurde uns klar, die Winter werden hier kalt.

Wir organisierten folglich noch genügend Winterklamotten für Rica und somit waren wir am Ziel angekommen, wo ich feststellte, die Finnen sind sehr warmherzige Menschen.
Nach dem Beobachten der Bevölkerung und deren Verhalten, schließe ich meinen Bericht mit der Feststellung: die Finnen sind bei sich, nehmen sich viel mehr Zeit und können vieles in Ruhe genießen.


Sonntag, 9. Oktober 2011

Finninnen und Finnen

Aufgestylt in Jogginghose und einem T-Shirt, das auf einen bestimmten Musikgeschmack schließen lässt, betritt er den Raum. Sehr cool und übermännlich guckt er in die Runde  und erinnert ein wenig an einen Cowboy, der einem alten Westernfilm entsprungen ist. Sein Schlafzimmerblick und sein Dreitagebart lassen die Herzen einiger Singlefrauen höher schlagen. Es scheint als würde er sagen wollen: „Ja ich bin es wirklich!“ und er ist es tatsächlich. Er ist ein waschechter Kerl. Ein Finne. Etwas zu bärtig für sein Alter vielleicht, sein Kleidungsstil auch etwas fragwürdig, aber so etwas interessiert Frauen nach jahrelanger erfolgloser Beutesuche nicht. Nun steht er dort in der Tür, lässt die Damenwelt den Atem anhalten. Er. Eben aus dem Wald vom Holzhacken äh vom Angeln monstergroßer Fische oder ach vergessen wir das,  gerade von seiner Mutter aus dem Bett geworfen und von dort aus direkt her gekommen. Nun gesellt sich das überaus attraktive Objekt an die Bar, die Wirtin nickt ihm zu, das übliche mal wieder.  Mit dem Bier in der Hand sucht er sich einen Platz an einem der Tische, schweigt vor sich hin und verzerrt seine erste Mahlzeit. Nach den ersten drei Bieren ist er dann auch endlich ansprechbar und wach, hebt seinen Blick, lässt ihn durch die Runde schweifen. Entdeckt ein durchaus hübsches weibliches Geschöpf, bestellt sich vorsichtshalber noch ein paar Biere und dann…  setzt er sich aufrecht hin, versucht es zumindest, guckt schüchtern zu dem Mädchen und wartet darauf, dass es den Blick erwidert.
Das Weibchen wirft ihm ein kurzes Lächeln zu, bloß nicht zu viel am Anfang,  und unser Finne sieht schnell weg und strahlt innerlich vor Glück. Männlich wie er ist, lässt er sich das allerdings nicht anmerken. Beide trinken weiter fleißig, sie ihren Kaffee und lacht und kichert leise über einen Witz, den eine ihrer Freundinnen erzählt hat. Er bestellt sich noch weitere fünf letzte Biere und flirtet weiter mit dem Mädchen, welches ihm immer mal wieder einen verlegenen Blick zuwirft.
Kurz guckt er auf die Uhr und steht auf, denn er ist zum Vorglühen und darauf folgendem Kneipenrundgang mit Freunden verabredet.
 Bevor er die Kneipe verlässt, sieht er noch einmal kurz zu der Schönheit rüber und nimmt sich ganz fest vor: „Das übernächste Mal spreche ich sie eventuell an!“

Der liebe Martin hat mich gebeten darüber zu berichten, wie finnische Männer und Frauen überhaupt zueinander finden. Ich habe eine Woche lang eine Antwort dazu gesucht  und dachte zum Schluss, kläglich daran gescheitert zu sein.

Das Wochenende über war ich in Joensuu – dort verbrachte ich die Zeit mit Mirka und Mari, letztere ist meine Supportperson. Ehrlich gesagt war ich sehr froh darüber, endlich aus Savonlinna ausbrechen und den in letzter Woche geschehenen Schicksalsschlägen entkommen zu können. Abends zogen wir durch die Bars und hierbei kam dann endlich die Erleuchtung. In diesen Kneipen ist es viel einfacher einen Partner zu finden. Frau muss nur warten oder im Zweifelsfall nachhelfen, bis das Geschöpf der Begierde betrunken genug ist und von selbst den kommunikativen Kontakt sucht.

So war es auch bei uns. Wir saßen etwas später in einer Bar und unterhielten uns, bis ein betrunkener Kerl vorbei kam und sich zu uns setzen wollte. Da er nicht wirklich unserem Beuteschema  entsprach, denn seine (naaaaatürlich total unfettigen) Haare standen zu allen Seiten ab, der Dreitagebart mit vereinzelt zu langen Stoppeln und dem nicht vorhandenen Parfum, ließen ihn so attraktiv wirken,  wie nur ein betrunkener Kerl es sein kann. Desweiteren verbreitete er einen durchaus sehr angenehmen Duft von Bier und seiner letzten Mahlzeit, doch besonders seine Körperhaltung, die darauf schließen ließ, dass er dringend das Bedürfnis verspürte, in den nächsten Sekunden die Toilette aufsuchen zu wollen, veranlasste uns dazu ihn weiter zu schicken. Traurig versuchte er sein Glück bei einem anderen Tisch. Wenig später sahen wir ihn draußen vor dem Fenster und seine traurige Miene sprach Bände. Unzählige Male war er bei den Frauen abgeblitzt und hatte mehr Körbe gesammelt als Michael Jordan in seinem besten Spiel. Doch so schmächtig der Kerl auch auf uns wirkte, überraschte er uns, die am Fenster sitzenden Frauen, wie er mal eben einige Straßenschilder aus der Erde hob und als wären sie schwerelos, durch die Gegend schleuderte. Seine Erfolgslosigkeit bei den doch sonst so scheinbar anspruchslosen weiblichen Geschöpfen, veranlasste ihn, seine Wut und Trauer an Stromkästen und Bänken auszulassen, bis er endlich mit gesenktem Kopf Richtung Parkplatz torkelte und dabei so sehr hin und her schwankte, dass ich mich an ein schweres Erbeben erinnert fühlte.

Am Samstag gingen wir zum Filmfestival und sahen uns einen Film über vier Bulgaren, die ihre große Liebe in Finnland suchten, an. Teilweise sprachen sie bulgarisch und finnische Untertitel übersetzten das Ganze. Das meiste verstand ich, wenn sie sich auf Englisch unterhielten. Das machte mir jedoch nichts aus, denn ich begriff die Geschichte auch ohne große finnische oder bulgarische Sprachkenntnisse. Dank des Filmes (in dem übrigens alle zig Flirts hatten und zwei von ihnen am Ende jeweils eine Dame eroberten) weiß ich jetzt, wo und wie ich eine Finnin aufreißen könnte. Möglich wäre dies durch Internetdating, Speeddating, Tango tanzen, auf Festivals gehen oder einfach wildfremde Personen in der Stadt ansprechen.  Da mir das jedoch ein wenig zu stressig ist, belasse ich es einfach bei den Kneipenbesuchen und lasse die Männer abfüllen.
Im Laufe meiner Recherchen erzählten mir einige Mädels von ihren Geschichten und die liefen alle ungefähr gleich ab.
Männchen und Weibchen lernen sich irgendwo kennen, sehen sich immer mal wieder überwiegend durch andere Freunde, treffen sich nach Monaten zu zweit und irgendwann treffen sie sich regelmäßig und tun, was normale Pärchen auch tun – nur dass sie sich noch nicht eingestanden haben, dass sie eigentlich auch zusammen sein könnten. Achja, mit den Intimitäten warten viele von ihnen nicht solange bis es zwischen ihnen offiziell ist, das würde ja eine viel zu lange Wartezeit in Anspruch nehmen.

Abends waren Mari und ich in der Kneipe „Wanha Jokela“, in der sich verschiedene finnische Berühmtheiten unter normales Volk mischen. So kam es, dass ich eine berühmte Schriftstellerin und Mutter einiger sehr berühmter finnischer Musiker kennenlernte und auch andere Künstler traf. Einzig meine Getränke musste ich bezahlen und während die Finnen amüsiert über die witzigen Songtexte lachten, versuchte ich durchgehend zu grinsen, weil öfters mal die Kamera eines Filmteams auf mein Gesicht gerichtet war und ich mich nicht als wissenslose Nichtfinnin oder humorlose Einwohnerin outen wollte.
In dieser Bar kam es auch dazu, dass ich eine ganz neue Seite der Finnen entdeckte. Die Räume waren überfüllt, jeder sprach und lachte mit jedem, Fremde teilten Tische miteinander und während ich mein Bier trank, gesellte sich ein fescher Kerl mit geflochtenem Kinnbart an unseren Tisch und verzauberte meine armen Gehirnzellen mit einigen Kartentricks, denen Mari und ich später dann doch auf die Schliche kamen. Dann betrat eine städtische Berühmtheit den Raum und hielt eine kurze Ansprache. Ich konnte den Blick nicht von ihm ablenken, so sehr zog er meine Aufmerksamkeit auf sich.
Mit Halbglatze und langem, schütteren Haar und einem noch längeren Bart, stand er in mitten der Menschenmasse. Seine viel zu enge pinke Jeans steckte in schwarzen Gummistiefeln und sein blumiges T-Shirt klebte faltig an seinem Oberkörper. Jeder, wirklich jeder aus Joensuu, kennt ihn.
Am Ende des Abends hatte ich etliche unterschiedliche Auftritte finnischer Prominenz beobachtet, unter anderem sangen fünf extrem auf Hässlich gemachte Frauen dreckige Lieder und die auch in Deutschland bekannte finnische Rock- und Country-Band „Freud Marx Engels & Jung“  brachte das Publikum zum gemeinsamen Mitsingen und erinnerten mich ein wenig an den hamburgischen Schnack, den ich ein bisschen vermisse.

Am Ende dieses Wochenendes sehe ich der nächsten Zeit ein wenig optimistischer entgegen. Schließlich weiß ich jetzt ja, wo ich Freunde finden kann. Zwar wird mir meine Leben den möglicherweise erhöhten Verzehr von Alkohol nicht verzeihen, aber was wäre ein Kneipenausflug ohne Bier?