Sonntag, 9. Oktober 2011

Finninnen und Finnen

Aufgestylt in Jogginghose und einem T-Shirt, das auf einen bestimmten Musikgeschmack schließen lässt, betritt er den Raum. Sehr cool und übermännlich guckt er in die Runde  und erinnert ein wenig an einen Cowboy, der einem alten Westernfilm entsprungen ist. Sein Schlafzimmerblick und sein Dreitagebart lassen die Herzen einiger Singlefrauen höher schlagen. Es scheint als würde er sagen wollen: „Ja ich bin es wirklich!“ und er ist es tatsächlich. Er ist ein waschechter Kerl. Ein Finne. Etwas zu bärtig für sein Alter vielleicht, sein Kleidungsstil auch etwas fragwürdig, aber so etwas interessiert Frauen nach jahrelanger erfolgloser Beutesuche nicht. Nun steht er dort in der Tür, lässt die Damenwelt den Atem anhalten. Er. Eben aus dem Wald vom Holzhacken äh vom Angeln monstergroßer Fische oder ach vergessen wir das,  gerade von seiner Mutter aus dem Bett geworfen und von dort aus direkt her gekommen. Nun gesellt sich das überaus attraktive Objekt an die Bar, die Wirtin nickt ihm zu, das übliche mal wieder.  Mit dem Bier in der Hand sucht er sich einen Platz an einem der Tische, schweigt vor sich hin und verzerrt seine erste Mahlzeit. Nach den ersten drei Bieren ist er dann auch endlich ansprechbar und wach, hebt seinen Blick, lässt ihn durch die Runde schweifen. Entdeckt ein durchaus hübsches weibliches Geschöpf, bestellt sich vorsichtshalber noch ein paar Biere und dann…  setzt er sich aufrecht hin, versucht es zumindest, guckt schüchtern zu dem Mädchen und wartet darauf, dass es den Blick erwidert.
Das Weibchen wirft ihm ein kurzes Lächeln zu, bloß nicht zu viel am Anfang,  und unser Finne sieht schnell weg und strahlt innerlich vor Glück. Männlich wie er ist, lässt er sich das allerdings nicht anmerken. Beide trinken weiter fleißig, sie ihren Kaffee und lacht und kichert leise über einen Witz, den eine ihrer Freundinnen erzählt hat. Er bestellt sich noch weitere fünf letzte Biere und flirtet weiter mit dem Mädchen, welches ihm immer mal wieder einen verlegenen Blick zuwirft.
Kurz guckt er auf die Uhr und steht auf, denn er ist zum Vorglühen und darauf folgendem Kneipenrundgang mit Freunden verabredet.
 Bevor er die Kneipe verlässt, sieht er noch einmal kurz zu der Schönheit rüber und nimmt sich ganz fest vor: „Das übernächste Mal spreche ich sie eventuell an!“

Der liebe Martin hat mich gebeten darüber zu berichten, wie finnische Männer und Frauen überhaupt zueinander finden. Ich habe eine Woche lang eine Antwort dazu gesucht  und dachte zum Schluss, kläglich daran gescheitert zu sein.

Das Wochenende über war ich in Joensuu – dort verbrachte ich die Zeit mit Mirka und Mari, letztere ist meine Supportperson. Ehrlich gesagt war ich sehr froh darüber, endlich aus Savonlinna ausbrechen und den in letzter Woche geschehenen Schicksalsschlägen entkommen zu können. Abends zogen wir durch die Bars und hierbei kam dann endlich die Erleuchtung. In diesen Kneipen ist es viel einfacher einen Partner zu finden. Frau muss nur warten oder im Zweifelsfall nachhelfen, bis das Geschöpf der Begierde betrunken genug ist und von selbst den kommunikativen Kontakt sucht.

So war es auch bei uns. Wir saßen etwas später in einer Bar und unterhielten uns, bis ein betrunkener Kerl vorbei kam und sich zu uns setzen wollte. Da er nicht wirklich unserem Beuteschema  entsprach, denn seine (naaaaatürlich total unfettigen) Haare standen zu allen Seiten ab, der Dreitagebart mit vereinzelt zu langen Stoppeln und dem nicht vorhandenen Parfum, ließen ihn so attraktiv wirken,  wie nur ein betrunkener Kerl es sein kann. Desweiteren verbreitete er einen durchaus sehr angenehmen Duft von Bier und seiner letzten Mahlzeit, doch besonders seine Körperhaltung, die darauf schließen ließ, dass er dringend das Bedürfnis verspürte, in den nächsten Sekunden die Toilette aufsuchen zu wollen, veranlasste uns dazu ihn weiter zu schicken. Traurig versuchte er sein Glück bei einem anderen Tisch. Wenig später sahen wir ihn draußen vor dem Fenster und seine traurige Miene sprach Bände. Unzählige Male war er bei den Frauen abgeblitzt und hatte mehr Körbe gesammelt als Michael Jordan in seinem besten Spiel. Doch so schmächtig der Kerl auch auf uns wirkte, überraschte er uns, die am Fenster sitzenden Frauen, wie er mal eben einige Straßenschilder aus der Erde hob und als wären sie schwerelos, durch die Gegend schleuderte. Seine Erfolgslosigkeit bei den doch sonst so scheinbar anspruchslosen weiblichen Geschöpfen, veranlasste ihn, seine Wut und Trauer an Stromkästen und Bänken auszulassen, bis er endlich mit gesenktem Kopf Richtung Parkplatz torkelte und dabei so sehr hin und her schwankte, dass ich mich an ein schweres Erbeben erinnert fühlte.

Am Samstag gingen wir zum Filmfestival und sahen uns einen Film über vier Bulgaren, die ihre große Liebe in Finnland suchten, an. Teilweise sprachen sie bulgarisch und finnische Untertitel übersetzten das Ganze. Das meiste verstand ich, wenn sie sich auf Englisch unterhielten. Das machte mir jedoch nichts aus, denn ich begriff die Geschichte auch ohne große finnische oder bulgarische Sprachkenntnisse. Dank des Filmes (in dem übrigens alle zig Flirts hatten und zwei von ihnen am Ende jeweils eine Dame eroberten) weiß ich jetzt, wo und wie ich eine Finnin aufreißen könnte. Möglich wäre dies durch Internetdating, Speeddating, Tango tanzen, auf Festivals gehen oder einfach wildfremde Personen in der Stadt ansprechen.  Da mir das jedoch ein wenig zu stressig ist, belasse ich es einfach bei den Kneipenbesuchen und lasse die Männer abfüllen.
Im Laufe meiner Recherchen erzählten mir einige Mädels von ihren Geschichten und die liefen alle ungefähr gleich ab.
Männchen und Weibchen lernen sich irgendwo kennen, sehen sich immer mal wieder überwiegend durch andere Freunde, treffen sich nach Monaten zu zweit und irgendwann treffen sie sich regelmäßig und tun, was normale Pärchen auch tun – nur dass sie sich noch nicht eingestanden haben, dass sie eigentlich auch zusammen sein könnten. Achja, mit den Intimitäten warten viele von ihnen nicht solange bis es zwischen ihnen offiziell ist, das würde ja eine viel zu lange Wartezeit in Anspruch nehmen.

Abends waren Mari und ich in der Kneipe „Wanha Jokela“, in der sich verschiedene finnische Berühmtheiten unter normales Volk mischen. So kam es, dass ich eine berühmte Schriftstellerin und Mutter einiger sehr berühmter finnischer Musiker kennenlernte und auch andere Künstler traf. Einzig meine Getränke musste ich bezahlen und während die Finnen amüsiert über die witzigen Songtexte lachten, versuchte ich durchgehend zu grinsen, weil öfters mal die Kamera eines Filmteams auf mein Gesicht gerichtet war und ich mich nicht als wissenslose Nichtfinnin oder humorlose Einwohnerin outen wollte.
In dieser Bar kam es auch dazu, dass ich eine ganz neue Seite der Finnen entdeckte. Die Räume waren überfüllt, jeder sprach und lachte mit jedem, Fremde teilten Tische miteinander und während ich mein Bier trank, gesellte sich ein fescher Kerl mit geflochtenem Kinnbart an unseren Tisch und verzauberte meine armen Gehirnzellen mit einigen Kartentricks, denen Mari und ich später dann doch auf die Schliche kamen. Dann betrat eine städtische Berühmtheit den Raum und hielt eine kurze Ansprache. Ich konnte den Blick nicht von ihm ablenken, so sehr zog er meine Aufmerksamkeit auf sich.
Mit Halbglatze und langem, schütteren Haar und einem noch längeren Bart, stand er in mitten der Menschenmasse. Seine viel zu enge pinke Jeans steckte in schwarzen Gummistiefeln und sein blumiges T-Shirt klebte faltig an seinem Oberkörper. Jeder, wirklich jeder aus Joensuu, kennt ihn.
Am Ende des Abends hatte ich etliche unterschiedliche Auftritte finnischer Prominenz beobachtet, unter anderem sangen fünf extrem auf Hässlich gemachte Frauen dreckige Lieder und die auch in Deutschland bekannte finnische Rock- und Country-Band „Freud Marx Engels & Jung“  brachte das Publikum zum gemeinsamen Mitsingen und erinnerten mich ein wenig an den hamburgischen Schnack, den ich ein bisschen vermisse.

Am Ende dieses Wochenendes sehe ich der nächsten Zeit ein wenig optimistischer entgegen. Schließlich weiß ich jetzt ja, wo ich Freunde finden kann. Zwar wird mir meine Leben den möglicherweise erhöhten Verzehr von Alkohol nicht verzeihen, aber was wäre ein Kneipenausflug ohne Bier?

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