Dienstag, 22. November 2011

Man weiß vieles erst zu schätzen, wenn man es vermisst...

Grinsend blickt er mich an, „Naaaa...!?“, dachte ich mir. So einen süßen Kerl sah frau nicht alle Tage. Mein Herz schlug ein wenig höher und ich lächelte verlegen zurück. Dann wandte ich mich wieder meinem Buch zu, wenn ich etwas nicht an mir ausstehen kann, dann dass ich Bücher viel zu schnell durchlese. Vorsichtig lugte ich noch einmal über den Rand des Buches und stellte fest, er starrte mich weiterhin lächelnd an. Während nur noch achtzig Seiten und drei Zugfahrstunden vor mir lagen, lenkte mich immer wieder das schnuckelige Kerlchen vom Lesen ab. Er lächelte schief, aber durchaus charmant. „Wie schnell kann man sich verlieben?“, kam mir in den Sinn und dieses Mal war ich mir sicher, handelte es sich um Liebe auf den ersten Blick.
Seine Augen waren so klar und die Art mit welchem sichtbaren Interesse er in meine sah, berührte mich tief im Herzen. Warum tat das nicht jeder tolle Typ so? So aufgeschlossen, so ehrlich zu seinem Interesse stehend und diese nicht aus Scham hinter einer Fassade der Coolness versteckend? Unsere Blicke trafen sich noch etliche Male, immer wieder füllte sich mein Herz dabei mit Glückseligkeit. Mich irritierte nur eine Sache und zwar seine Art, wie er während des Lächeln und Guckens mit dem Finger an seiner Zunge herum spielte.
Doch vielleicht war das nur eine typisch finnische Angewohnheit von Kerlen seinen Alters. Außerdem machen Macken den Menschen nicht erst zu einer besonders liebenswerten Person? Auf jeden Fall war ich mir sicher, diese Eigenheit würde ich widerstandslos verzeihen, sobald er auch nur ein einziges Mal in meinen Armen läge. Der Kerl war ein Mädchenherzensbrecher wie er im Buche steht. Ich glaube, keine des weiblichen Geschlechts, könnte ihm widerstehen. Seine reine Haut, der gute Kleidungsstil, die Augen und das charmante Lächeln, das ich an Männern so unwiderstehlich und zum Verlieben finde, all das vereinte er.
Doch es kam, wie es kommen musste. Nach zwei wunderbaren Stunden, die für mich nur so verflogen, stand seine weibliche Begleitung auf und trug ihn mitsamt seines Kinderwagens fort – aus dem Zug auf den Bahnsteig, in die Dunkelheit und Kälte. Traurig blieb ich zurück und fuhr weiter gen Zuhause.

Woher ich kam? Sehr gute Frage.
Gestern wachte ich mit dem Gedanken auf: „DAS kann doch jetzt doch nicht schon halb acht sein!“ und schwang mich absolut unmotiviert auf den Drahtesel. Vorsichtshalber habe ich mich ziemlich dick angezogen. Mit langärmeligem Oberteil, einem Wollpulli, Leggins, Jeans, langen Wollsocken, einer Winterjacke, Armstulpen, Wollhandschuhen, Wollmütze und Schuhen bewege ich mich vorsichtig zum Bahnhof. Ich fahre vorbei an dem vereisten Schnee und fühle mich wie ein fetter Kleidungsklotz, der grobmotorisch unter dem zum bemitleidenen ächzenden Fahrrad versucht vorwärts zu kommen. Wie soll dass denn erst werden, wenn es noch dreißig Grad kälter ist?
Schneeflocken erschweren mir die Sicht und ich versuche nicht an die frierenden Fußzehen zu denken, die zu schmerzen beginnen.
Pünktlich zum Winterbeginn am 21.11.11 schneit es. Wer hätte das denn auch anders erwartet?
Mein genervtes „ICH!“ wird auf diese Frage hin anscheinend bewusst ignoriert.
Ziemlich schnell füllt sich der Bahnsteig, oder sollte ich eher das leere Gleis mit dem Betonweg daneben, sagen? Manche nehmen Abschied voneinander, andere stehen in stylisch dreckigen Regenstiefeln und ähnlicher Kleidungsausrüstung grummelig da und warten auf den Zug. Im Gegenteil zur Deutschen Bahn, kommt der Zug trotz des Schnees pünktlich. Ungern denke ich an den letzten Dezember zurück, an dem ich zwei Stunden frierend, hungernd und müde im Spandauer Bahnhof verweilen durfte, nur weil der ICE eine unbestimmte Verspätungszeit hatte. Ist ja auch echt überraschend, dass in Deutschland manchmal Schnee fällt. Besonders im Winter überrumpelt dieses Ereignis die DB immer wieder. So heftig war der Klimawandel bisher noch nicht, dass es keinen Schnee mehr im Winter gibt, aber das scheinen die noch immer nicht kapiert zu haben.
Der Zug kommt und ich fühle mich den anderen nach Darwin'scher Evolutionsheorie „Survival of the fittest“ überlegen. Die Stufen sind nämlich nur für Menschen gemacht, deren Beine lang sind. Würde es hier ums Überleben gehen, okay so gesehen ging es das in diesem Falle, wäre ich eine der wenigen, die nicht zu Grunde gehen würde. An meine pfadfinderischen Tugenden erinnert, helfe ich trotzdem einer auf finnisch fluchenden älteren Dame nach oben.

Die Zugfahrt dauert insgesamt vier Stunden und acht Minuten. Zwischendurch steige ich in einen Intercity um und stelle dort überrascht fest, dass es auf den Toiletten auch ein Töpfchen für Kleinkinder gibt. Sogar zum Aufwärmen von Babynahrung oder -Milch, so gut kenne ich mich auf dem Gebiet zum Glück noch nicht aus, steht da ein Gerät herum.
Einige Stunden später treffe ich im verregneten Helsinki endlich auf eine befreundete deutsche Freiwillige, bei derer Gastfamilie ich übernachte. Ihre Gastschwester schafft es tatsächlich mich trotz aller Müdigkeit zum Seilspringen und Bewegen zu kriegen. Später schenkte sie mir noch ein Armband, das fand ich richtig genial - ich war verblüfft darüber und bin etwas verlegen deswegen.
Am nächsten Tag fuhren Antje und ich in ein Studio, indem wir deutsche Texte ins Mikro sprachen und diese für die schulischen Deutschprüfungen aufgenommen wurden. Das zu erleben, war echt großartig und tat mir ziemlich gut. Ich meine, bald hören unzählige finnische Schüler meine Stimme und dürfen dazu Fragen beantworten.
Wenig später guckten wir beide noch in dem Büro unserer finnischen Organisation vorbei und erzählten Mari von unseren Arbeiten, Erlebnissen, positiven sowie auch negativen Dingen und ich genoss es, bekannte Gesichter wiederzusehen und herauszufinden, dass ich tatsächlich einen Traumjob abbekommen habe.
Auf der Rückreise, traf ich in der letzten Bahn auf mehrere finnische Damen, die mir unzählige Fragen stellten und bis zum Ende haben die, glaube ich, nicht heraus gefunden, dass ich nicht so gut finnisch sprechen kann. Ich bin echt stolz darauf, dass ich ihre Fragen beantworten konnte, drei Monate zuvor hätte ich das nicht ansatzweise bewerkstelligen können.
Kaum zu glauben, wie glücklich ich diese beiden Tage lang war. Mit einer Gleichaltrigen und der gleichen Muttersprache reden zu können, das hat mir sehr gefehlt. Auch der Einblick in eine hauptsächlich auf englisch kommunizierende finnische Gastfamilie zu bekommen und die spannende Studioaufnahme, waren die Reise wert.
Zurück bleiben mir wunderbare Erinnerungen (wie zum Beispiel an das süße Kerlchen in der Bahn, wäre er doch bloß 19 Jahre älter gewesen), ein riesiger Haufen neuer Erkenntnisse, sowie ein Kopfmassageteil, mit dem ich mir jetzt endlich selbst immer etwas Gutes tun kann.
Zu meinem sagenhaften Glück, standen überraschenderweise auf mich wartend, zwei großartige Studenten am Bahnhof, die mich in ein Auto warfen und durch die frostige und verschneite savonlinnasche Stadt Richtung Zuhause - meinem Zuhause, welches ich bereits sehnsüchtig vermisst hatte, fuhren.
Endlich bin ich wieder zurück, dort wo meine vier Wände und großartige Menschen auf mich warteten.

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