Montag, 19. Dezember 2011

Yeah!

In den letzten beiden Wochen hatte ich enormen Stress. Vormittags finnisch lernen, nachmittags unzählige Band- und Chorproben. Abends Chorauftritte. Einmal fuhren wir in ein Dorf und sangen für zwanzig ältere Menschen die finnischen Weihnachtslieder. Bei jedem der Auftritte wurde eine Tombola veranstaltet. Eigentlich gewinne ich nur ziemlich selten etwas, dieses Mal hatte ich eine Menge Glück. Ich gewann Schokolade und Kerzen – einfach nur großartig. Mir wird gerade bewusst, wie weit ich mich in den vier Monaten entwickelt habe. Bis vor kurzem konnte ich nicht vor Fremden Piano spielen. Gestern hatten wir einen Bandauftritt bei der Weihnachtsshow und ich habe vor 200 Zuschauern gespielt und sogar gesungen.  Ich bin unglaublich zufrieden mit mir. Auch weil ich die finnische Sprache immer mehr beherrsche und sogar schon richtige Texte schreiben kann. Außerdem habe ich in jeder Weihnachtsshow meine Solostrophe von „Stille Nacht, heilige Nacht“ gehabt. Dadurch, dass ich ständig ins kalte Wasser geworfen werde, wachse ich im hohen Tempo über mich hinaus.
Wenn ich vor anderen Menschen spreche, bin ich absolut nicht mehr nervös, obwohl ich viele Fehler in der für mich neuen Sprache mache. Das freiwillige Jahr zeigt mir, wo meine Stärken liegen, nur meine Schwächen schwinden so dahin. Früher habe ich eher meine Probleme und Macken gezeigt, jetzt zeige ich viel mehr, was in mir steckt.
Daraus resultiert allerdings, dass ich nicht mehr weiß, was ich nach dem FSJ machen soll. Vorher kannte ich nur einen kleinen Teil meiner Fähigkeiten und das schränkte die Möglichkeiten ungemein ein. Nun interessiert mich unzähliges. Hoffentlich geht die Entwicklung in dem nächsten halben Jahr noch verstärkt weiter.
Ich empfehle jedem, der sich in einer „Wer bin ich eigentlich?“-Phase befindet, ähnliches zu tun. Das bekannte Umfeld für eine Weile zu verlassen und irgendwo ganz neu anzufangen. Ein halbes oder sogar ganzes Jahr lang.
Natürlich weiß ich, dass nicht jeder so eine Veränderung durchmacht. Hierbei kommt es wirklich darauf an, einen Weg zu finden, sich selbst ausprobieren zu können und Menschen zu haben, die einem das ermöglichen oder darin bestärken. Ich habe hier keinen, der mir sagt: „Das kannst du nicht. Lass das lieber.“ Im Gegenteil. Viele sind sogar sehr interessiert indem was ich ausprobiere.
Ich hab zwar kaum finnische Freunde, dafür jedoch unzählige aus anderen Ländern und Kulturen. Ich spreche zwar kein umgangssprachliches, dafür das schriftliche und grammatisch korrekte Finnisch. Tango kann ich immer noch nicht tanzen, dafür kenne ich unzählige finnische Weihnachtslieder und kann die singen. Das Nordlicht habe ich auch nicht gesehen, dafür sprang ich jeden Monat mehrmals nach der Sauna in den See – selbst im Dezember und trotz des vereisten Stegs. Finnland ist zwar unendlich langweilig, besonders wenn man weit entfernt von der nächsten Großstadt lebt, dafür habe ich allerdings bereits unzählige Filme gesehen – überwiegend Horror- und Actionfilme, die ich in Deutschland eher nicht angeguckt hätte.
Es gibt viele Vor- und Nachteile. Ich wüsste schon gerne, wie ich das Leben in einer asiatischen oder afrikanischen Kultur gemeistert hätte und würde das am liebsten nach diesem Jahr ausprobieren. Allerdings habe ich bis heute hier in Finnland etliche Erfahrungen gemacht und kann endlich ein bisschen stolz auf mich sein.  

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