Sonntag, 4. Dezember 2011

finnische Nacht

Es ist noch ziemlich dunkel draußen als ich aufwache. Verschlafen setze ich mich auf, gucke zum Fenster und stelle fest, dass ich ziemlich hungrig bin. Mein Magen knurrt als hätte er vor zwei Tagen das letzte Mal etwas zu verarbeiten gehabt.
Schlaftrunken suche ich nach meinen Hausschuhen, irgendwo in der Nähe des Bettes hatte ich sie doch abgestellt, hoffe ich mich richtig zu erinnern.

Endlich finde ich sie, stehe auf und schleiche mich die Treppe hinunter. Versuche ich zumindest.
Die Hausschuhe sind zu breit und zu groß. Jeder Schritt klingt nach dem eines Elefanten.
Beinahe stoße ich mit meinem Kopf gegen das abgesenkte Deckenstück ganz unten am Ende der Treppe. Gerade noch mal gut gegangen, denke ich mir und bewege mich in die Küche. Während der Wasserkocher mir das Leitungswasser erhitzt, welches ich später mit einem Teebeutel bekömmlicher machen werde, suche ich im Kühlschrank nach einer brauchbaren Mahlzeit.

In diesem Moment erinnere ich mich an meinen Vater, der fast jede Nacht zur gleichen Uhrzeit vor dem Kühlschrank aufzufinden ist – stets in der Hand ein Jogurt - halb schlafwandelnd und in den Fängen des Gewohnheitstieres gefangen.

 Ich mag diese Milchprodukte allerdings nicht, deswegen muss ich mich mit etwas anderem begnügen. Ein Stück Gurke wird es tun, entscheide ich mich. Der Teebeutel färbt kurz darauf das Wasser in meiner Tasse rot. Rot. Weihnachten, ja das steht ja kurz vor der Tür. Mit ihm kommt nicht nur der Schnee, sondern auch die besinnliche und friedvolle Stimmung. Zumindest in christlichen und kriegfreien Ländern - und in den Haushalten, in denen niemand dem Geschenkekaufstress unterliegt.

Auf das Fest der Feste bin ich nicht wirklich vorbereitet, zwar singen wir hier ständig Weihnachtslieder, die ich echt nicht mehr hören, geschweige denn singen kann. Im Festsaal steht sogar ein riesiger Weihnachtsbaum, der einem Kinderbuch entsprungen sein könnte. Engel- und Weihnachtsmannfiguren dekorien Wände, Tische und Weihnachtssterne, also die Pflanzen, stehen überall herum. Bevor ich nach Finnland kam, wusste ich zwar dass der Weihnachtsmann hier aus der Nähe stammte, allerdings habe ich nicht einmal daran gedacht, wie Finnen zu der Dezemberzeit agieren.

Wohl möglich herrscht hier im Opisto ein Ausnahmestand und nicht jeder finnische Haushalt ist genauso. Ich weiß es nicht. Ich könnte es mir jedoch richtig gut vorstellen. Täglich spielt ein CD-Player Weihnachtsmusik, häufig singen schiefe Kinderstimmen die Texte hinunter, als würden sie sonst die Rute und Kartoffeln zu Weihnachten bekommen. Apropos, so langsam verstehe ich, warum Kindern die Rute und ja besonders Kartoffeln angedroht werden. Diese fragwürdige Tradition zum Bravmachen aller Kinder, stammt gewiss aus Finnland. Aus dem Land der täglichen Kartoffelmahlzeiten.

Doch ich möchte ganz ehrlich zu geben, würde ich hier leben und Kinder haben, wahrscheinlich täte ich es genauso. Statt der stillen Treppe und Stubenarrest drohe ich den lieben Rotzbengeln die Erdknollen zu Weihnachten und ihren Geburtstagen an. Da stellt sich nur eine Frage, ob das als Erziehungsmaßnahme vertretbar ist oder ob ein Gesetz veranlasst, jeden Verfechter dieser Methode hinter Schloss und Riegel zu bringen.
Zum Glück habe ich momentan keine Kinder (in Planung) und muss mich mit dieser Frage noch nicht großartig auseinander setzen.

Nun gut, ich trinke meinen Tee und erklimme die Treppe, bewege mich in Richtung meines Bettes und lege mich hinein. Mein Rücken schmerzt von der durch gelegenen Matratze, auf der zuvor mindestens tausend Menschen geschlafen haben. Die dünne Decke ziehe ich mir bis zum Kinn, schließe die Augen und versuche mir so etwas wie imaginäre hüpfende Schäfchen vorzustellen, ihre wolligen Rücken wunderschön mit Zahlen verziert. 
Und ich schlafe ein.

Ungefähr zwei Minuten später wache ich wieder auf. Es hat nicht geklappt. Die Schäfchen gingen mir mit ihrem Gehüpfe auf die Nerven, sie machten mich damit ganz nervös.
Was macht man denn, wenn man mitten in der Nacht aufwacht und nicht mehr schlafen kann?
Mein Handy leuchtet auf einmal auf, irgendjemand ruft an. Bestimmt ein betrunkener Student, der sich genauso langweilt. Hey, das wäre doch eine gute Beschäftigung. Mitten in der Nacht einen Spaziergang mit einigen Leuten machen. Es schneit und alles ist ruhig.
 Ich greife zu dem Handy und werde prompt gefragt, wo ich denn bliebe.
Wie? Was? Ich liege im Bett, antworte ich und unterdrücke ein Gähnen.
 „Um 16 Uhr? Das ist doch viel zu früh!“

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