Donnerstag, 8. September 2011

der gelbe Engel

oder wie ich zum MFA wurde....

Ich fühle mich sonderbar, in wenigen Stunden bin ich genau seit einem Monat in Finnland.
Es ist so, als wäre das Abschiedsfest gerade gestern gewesen.
 Die Zeit verging bisher wahnsinnig schnell, bis auf die Stunden des Finnisch-Unterrichts. Womit ich auch schon natürlich ganz zufällig die Überleitung zu dem ersten Thema hergeleitet habe.
Diese Sprache macht mich fertig.
Mittlerweile kann ich kleine Smalltalk-Dialoge führen, faszinierend wenn man bedenkt, Finnen führen nur ungerne Smalltalk…
Während ich mich nun vorstellen kann, mit wichtigsten Sachverhalten (ich komme aus Deutschland, bin Deutsche, die Hauptstadt Deutschlands ist Berlin, spreche Deutsch/Englisch/Französisch, mir geht es gut und selbst?,  was ist?, nichts ist!, ich heiße Rica, habe am 13. Mai Geburtstag und sogar finnische Uhrzeiten kann ich nennen) Warum ist es eigentlich so wichtig, seine Heimat zu benennen? Und warum kann ich immer noch nicht sagen, dass ich nichts von dem finnischen Gebrabbel verstanden habe?
Richtig!
Weil mein Gedächtnis einem Nudelsieb gleicht.

Gestern Abend konnte ich nicht einschlafen, weil mein Kopf gefüllt mit finnischen und englischen Sätzen war. Selbst im Traum verfolgte mich das Wortchaos... ich hoffe, das ändert sich bald!
Tagsüber war ich mit einigen Studenten bei einem "Fitnesstest" und habe die Jungs dabei gefilmt bzw. fotografiert. Unter "Krimskram" kannst du dich selbst davon überzeugen. Während die Kerle ihre überschüssige Energie vor meiner Kamera präsentierten und mich nicht nur einmal dazu brachten, vor Lachen (Schadenfreude tut manchmal echt gut) auf dem Boden herum zu wälzen, fiel mir auf dass der Großteil der Jungs mir bis zum Kinn reicht. Kleiner Körper, großes Ego - so lassen sich einige von ihnen beschreiben. Die entrüsteten Reaktionen auf mein "Olet söpö!" (ihr seid so niedlich) bringt mich noch immer zum grinsen und verstärkt meine Wahrnehmung. Einfach unbeschreiblich lustig, wenn so ein kleiner Wicht auf mich zu kommt und den Macho raushängen lässt. Süß oder?
 Eindrucksvoll und nicht gerade selbstbewusstseinsstärkend für die Jungs war zum Schluss, dass ihre kleine zierliche Lehrerin sämtliche Kerle überholte - die Aufgabe war in 12 Minuten möglichst viele Runden zu laufen. Wir waren alle beeindruckt, doch ist es auch kein Wunder... denn die meisten der Jungs sind Raucher.

Heute hat mich Finnland erneut umgehauen.
Eine Gruppe von Menschen mit speziellen Bedürfnissen, also gehandicapte Personen, kam um ein Konzert hier abzuhalten. In dem Land der Bäume gibt es nicht nur ein großartiges Schulsystem, sondern auch wunderbare Programme für eben diese Menschen. Ich muss sagen, die fünf Kerle haben mich mit derer Musik beeindruckt. Vorgespielt haben sie etliche Songs auf Finnisch. Unter anderem sogar einen Boogie-Woogie. Boah! Ich habe die Jungs, die hinter mir saßen, beneidet. Unsere Behindertengruppe saß nämlich in der Stuhlreihe hinter mir und die durften abrocken, ohne, dass jemand seltsam guckte.
Warum ich nicht den Mut dazu hatte?
Sehr gute Frage!
Die Antwort lautet 42 und ich hoffe das reicht aus!
Mir wurde heute bewusst, wie großartig mein Arbeitsplatz ist. Ich kann hier in der Behindertenwerkstatt arbeiten, wenn ich will. Habe täglich viele unterschiedliche Aufgaben, hier die Möglichkeit unzählige Kulturen hautnah zu erleben und kennenzulernen, sowie meinen inneren Rassismus zu zerstören und mich selbst zu verwirklichen, indem ich mich in der Leitung des Clubs versuche.
Etwas über hundert Studenten von überall her studieren hier und leben zusammen auf diesem Campus. Diese Chance des internationalen Austausches und gemeinsamen Lernens bekommt nicht jeder, zudem auch das Altersspektrum riesig ist.
Hin und wieder frischen neue Gäste das Leben hier auf, so gut wie jede Woche sind Gruppen hier und halten Seminare ab.
In letzter Zeit habe ich außerdem etliches über mich herausgefunden und darüber bin ich wirklich froh. Allerdings fehlt mir das Wissen, welche Rolle ich hier einnehme. Popo wird als die professionelle Fotografin behandelt und darf überall ihre Leidenschaft ausleben.
Ich selbst merke wie schüchtern ich in der Hinsicht bin, mein Können unter Beweis zu stellen. Die Studenten suchen hier zum Beispiel jemanden, der ihnen das Klavier spielen beibringen könnte – dazu wäre ich theoretisch in der Lage und Lust hätte ich auch, nur traue ich mich nicht. Da hilft leider auch nicht mein Motivationstrainer Timm alias cid.
Dank Martin habe ich jetzt aber eingesehen, dass die Rolle des MFA (jaa klingt wie eine Polizeigeheimeinheit) ausreicht. Ich bin das Mädchen für alles – aus Leidenschaft. Sperrt sich einer mal wieder aus seinem Zimmer aus, bin ich zur Stelle (frag mich nicht, woher ich das richtige Timing habe). Vielleicht wird es allmählich Zeit ein Superheldinnenkostüm mit Engelsflügeln zu entwerfen.
Nun kommt auf mich das Wochenende zu und leider kränkel ich ein wenig. Ein bisschen zu sehr für meinen Geschmack, ich hoffe das geht morgen vorbei. Ansonsten werde ich wohl oder übel die Zeit auf dem Campus verbringen müssen und bin gezwungen täglich finnisch zu büffeln – ja ehrgeizig bin ich auch noch leider.
Desweiteren lebe ich mittlerweile in einer Wohngemeinschaft mit zwei Kerlen und bisher habe ich nicht heraus gefunden, welcher der beiden mich jeden Tag zum verzweifeln bringt. Und wer die Milchpackungen in den Schrank sortiert – wobei ich da sogar auf einen der Kerlchen tippe, die tagsüber die Behindertenwerkstatt unten im Haus besuchen.

Wie fühle ich mich gerade?
Hungrig!
Wer verdammt kam auf die Idee, das Abendessen auf 16:30 zu verschieben? 
Beflügelt!
Denn gerade eben hat mir einer der Studenten eine Tafel Schokolade vorbei gebracht - als Dankeschön...


4 Kommentare:

  1. Ey, mein reden - Väter sind halt die besseren Mütter... Bin durch Zufall auf deiner Seite gelandet, find voll lustig wie du schreibst.
    dir noch viel Spass. Gruß vom Dido

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